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Aprilia Shiver & Dorsoduro 900

Mit der Tuono V4 1100 RR hat Aprilia eine echte Rakete am Start, durchaus alltagstauglich, aber ist es halt doch nicht jedermanns Sache, mit über 160 PS unterm Hintern zur Arbeit oder ins Wochenende zu fahren. Voilà zwei neue Alternativen: die konventionellere Shiver 900 und die flippige Dorsoduro 900.

Ein neuer 900-Kubik-Motor befeuert fortan Aprilias Mittelklasse-Modelle Shiver – ein modernes Naked-Bike – und Dorsoduro – ein Funbike im Supermototrimm -, die zuletzt von einem 750er-Aggregat angetrieben wurden.Doch natürlich wurde nicht einfach nur der Antrieb ausgetauscht – auch sonst erhielten beide Modelle ein paar verlockende Updates für die Saison 2017. Beide Neuheiten wurden im Sommer im wunderschön gebirgig gelegenen Madonna di Campiglio in Norditalien der Weltpresse vorgestellt – ab sofort sind sie für 10 290 Franken (Shiver) bzw. 10 990 Franken (Dorsoduro) erhältlich.

Gleiche Basis, mehr Hubraum

Als Basis für den neuen, nun Euro-4-kompatiblen Motor dient der bisherige V2. Das Hubraumplus wurde erreicht, indem der Hub von 56,4 auf 67,4 Millimeter vergrössert wurde. Die Bohrung blieb bei 92 Millimetern. Die Abstimmung wurde so gewählt, dass die Maximalleistung praktisch unverändert blieb und nun bei beiden Modellen 95 PS beträgt.Ganz dem Trend der Zeit folgend, legten die Apri­lia-Ingenieure auch hier den Fokus auf eine spürbare Vergrösserung des Drehmoments. So liegen neuerdings bei beiden Bikes 90 Newtonmeter bei 6500/min an, während es bei den 750er-Modellen 79 Nm bei 7250/min (Shiver) und 82 Nm bei 4500/min waren. Somit erreicht der neue Motor das Drehmomentmaximum im Vergleich zur vorangehenden Dorsoduro zwar erst bei einer höheren Drehzahl, doch verläuft die Drehmomentkurve laut den Verantwortlichen flacher und auf einem durchgängig höheren Niveau als zuvor. Mit anderen Worten: Man erhält mehr Druck in den im Alltag meist gefahrenen mittleren Drehzahlen. Eine gute Wahl, wie sich auf den ersten Testkilometern herausstellt.

Angenehmes V2-Pulsieren

Im Nu lässt der neue 900er-V2 die Dorsoduro auf italienisches Landstrassentempo sprinten. Mit spürbarem, aber nie aufdringlich empfundenem Pulsieren. Trotz minim längerer Übersetzung spurtet die Shiver mühelos mit. Auf beiden Bikes erfolgen die Gangwechsel dank präzisem Sechsganggetriebe und nicht zu streng zu betätigender Kupplung easy. Der benötigte Kraftaufwand für die linke Hand wurde im Vergleich zu den Vorgängermodellen um 15 Prozent reduziert.Untermalt wird der Vortrieb durch einen satten V2-Sound aus der 2-in-1-Auspuffanlage. Von hinten betrachtet scheint es, als hätten beide Bikes zwei Endtöpfe, wobei es sich aber um einen grossen, sich unter dem Heck ausdehnenden Topf mit zwei modellspezifischen Auslässen handelt.

 

Während bei der Dorsoduro die Öffnungen in etwa die Form des Turms der Araber in Dubai (nur liegend) haben, sind sie bei der Shiver gross und ziemlich rund. Zudem leiten an ihren Enden eine Art «umgekehrte Trichter» die Abgase ab. Es scheint, als seien diese dafür verantwortlich, dass der Shiver-Sound beim Beschleunigen viel deutlicher zu hören ist als jener der Dorsoduro. Auch verführt die Shiver mit einem frechen Brabbeln beim Schliessen des Gases, das man bei der Dorsoduro viel weniger wahrnimmt.Die Gasbefehle werden wie schon bisher elektronisch umgesetzt. Allerdings ist nun ein komplett in den Gasgriff integriertes Full-Ride-by-Wire-System verbaut und das elektronische Motormanagement übernimmt neuerdings die Kontrolleinheit 7SM von Marelli, die auch in den doppelt so leistungsstarken V4-Maschinen von Aprilia zum Einsatz kommt.

 

Diese neue Kombination soll unter Einbezug verschiedener Parameter wie Drehzahl, Gang, Einspritzventilöffnung, Luftmenge und -geschwindigkeit eine noch besser abgestimmte Gemischbildung, eine bessere Verbrennung und damit eine exaktere Umsetzung der Fahrerabsichten ermöglichen.In der Tat gibt es daran in keinem der drei vorhandenen Mappings etwas auszusetzen: Während der V2 bei «Sport» angenehm direkt ans Gas geht und bei «Touring» deutlich sanfter, wird bei «Rain» die Leistung gar auf 70 PS reduziert. Der Modus-Wechsel erfolgt auf einfachste Weise, nämlich durch Drücken des Startknopfes, auch während der Fahrt.

Neue dreistufige Traktionskontrolle

Doch auch wer bei voller Power fährt, kann sich neu immer auf die schützende Wirkung der auf die Zündung sowie die Einspritzung wirkenden, drei­stufigen Traktionskontrolle verlassen, die sich im Bedarfsfall auch deaktivieren lässt. Die Traktionskontrolle arbeitet in Kombination mit dem ebenso deaktivierbaren Zweikanal-ABS von Continental.Völlig neu und up to date präsentiert sich ferner das Cockpit, aus dem sich der bisherige Analog-­Drehzahlmesser und das Flüssigkristalldisplay ­verabschiedet und einer angesagten Vollfarb-­TFT-Anzeige Platz gemacht haben. Diese zum neuen, langsam aber sicher zum Standard avancierenden Displays sind in der Regel mit einem Helligkeitssensor ausgestattet und passen ihre Helligkeit sowie das Farbschema den Lichtverhältnissen an, sodass sie durch stets gute Ablesbarkeit begeistern.

 

Auf der Shiver bzw. Dorsoduro 900 ist das nicht anders. Hier werden unter anderem Infos angezeigt zu Drehzahl, Gang, Kühlertemperatur, Mapping und Uhrzeit. Doch auch Zusatzinfos wie Durchschnittsgeschwindigkeit oder Durchschnittsverbrauch fehlen nicht. Zwar gibt es keine Reichweitenanzeige, doch ist die – kennt man sein Motorrad erst einmal – gar nicht so wichtig. Viel nützlicher ist es, gerade, da diese Anzeigen oft genug eher vage arbeiten, dass einem Shiver und Dorsoduro anzeigen, wie weit man schon auf Reserve gefahren ist.Ausserdem kann die neue Tachoeinheit mit der Aprilia Multimedia Platform ausgerüstet werden, mit der sich Bike und Smartphone verbinden lassen.

City-Shiver, Race-Dorsoduro?

In weiten Bereichen sind Shiver und Dorsoduro identisch. Doch ist die Dorsoduro auf den ersten Blick als primär «extremeres» Sportbike mit hoch über dem Grund liegendem Sattel (870 mm) und langen Federwegen (v. 170 mm, h. 160 mm) zu erkennen, die Shiver dagegen als modernes Naked-Bike nach bewährtem Schnittmuster. Ihre Sitzhöhe beträgt moderate 810 mm, die Federwege vorne wie hinten 130 mm. Und die Optik täuscht nicht. Die deutlich weniger leicht zu erklimmende Dorsoduro gibt sich auch weniger handlich, auf schnellen langen Kurven dafür etwas stabiler. Sie will in engeren Kurven viel mehr über die Front gewuchtet werden als die zierlichere Schwester.Beide verfügen neu über eine 450 Gramm leichtere USD-Gabel von Kayaba mit einstellbarer Vorspannung und am Heck arbeitet das bekannte, auf der rechten Seite angebrachte Monofederbein.

 

Diese Paarung lässt die ebenfalls neuen, insgesamt zwei Kilo leichteren Felgen selbst bei rumpeligem Asphalt satt auf dem Boden kleben. Auch die Bremsen verrichten gute Dienste, bieten einen klaren Druckpunkt, sind gut dosierbar und beissen sportlich-kräftig zu.Grundsätzlich wird die Shiver von den Verantwortlichen als die wichtigere im Markt angesehen. Wohl zu Recht, denn sie ist ein absolut unkompliziertes Bike, das mindestens so viel «sportlichen Fun» garantiert wie die Dorsoduro, sofern nicht der Supermoto-Fahrstil zum bevorzugten gehört. Toll schliesslich, dass sich beide Bikes mit einigem Originalzubehör für Alltag, Sport oder Reise (Gepäcksystem, Komfortsattel etc.) ausrüsten lassen!

Fazit

Kaum zu glauben, dass sich die Verantwortlichen einen Moment lang tatsächlich überlegt hatten, die V2-Modelle beim Euro-4-Wechsel aus dem Sortiment zu streichen. Zur Entscheidung, Shiver und Dorsoduro weiterentwickelt weiterhin anzubieten, können wir nur gratulieren. Denn Bikes wie diese sind eine schöne Alternative für alle, die nicht 1200 Kubik bzw. 160 PS haben wollen.

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