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Test Kawasaki Z900RS

Endlich machen die Japaner von Kawasaki im wachsenden Neoklassik-Segment Ernst: Sie besinnen sich auf ihre illustre Modellgeschichte und lancieren mit der Z900RS eine Hommage an die epochale Z1 von 1972.

Sie dürfte eines der bestverkauften Bikes des Modelljahrgangs 2018 werden, die ab sofort für 13 000 Franken in Schwarz und Mattgrün sowie in Schwarz-Orange (13 200 Franken) erhältliche Z900RS von Kawasaki. Denn zum einen ist sie ein Retro-Bike, und diese Töff-Gattung liegt zurzeit voll im Trend. Dann ist sie – Kenner werden es schon lange erkannt haben – eine Reminiszenz an ein ganz besonderes Bike; die legendäre 900 Z1 Super4, die bei ihrem Erscheinen im Jahr 1972 das schnellste, stärkste und mit DOHC-Technik auch fortschrittlichste Grossserienmotorrad der Welt war.

Kommt hinzu, dass die preislich im Vergleich zur anvisierten Konkurrenz von BMW (R nineT) und Triumph (Bonneville-Familie) fair positionierte RS, deren knallgrüne Racer-Schwester «Z900RS Cafe» für voraussichtlich 13 500 Franken ab März verfügbar sein wird, in Anmutung und Verarbeitungsqualität durchaus Premium-Qualitäten aufweist. Und dann ist sie – man kann es nicht anders sagen – einfach ein verdammt schönes Motorrad, das dem Original wie aus dem Gesicht geschnitten scheint: Die Proportionen passen, die Silhouette bezirzt, kein Element scheint aus der Reihe zu tanzen, die stilecht vornehmlich horizontalen Linien harmonieren vom LED-Rundscheinwerfer über den formschönen 17-l-Tropfentank und die kunstvoll gesteppte Sitzbank bis hin zum charakteristischen Entenschnabel-Heckbürzel. Keine Frage: Bei der Mammutaufgabe, die passende Balance zwischen Vergangenheit und Gegenwart zu finden, hat Kawasaki mit der Z900RS aus unserer Sicht definitiv voll ins Schwarze getroffen.Hommage statt ReplikaIn rastlosem Engagement, das schon fast an Besessenheit grenzt, hat der verantwortliche Designer Norikazu Matsumura – in seiner Freizeit selber ein begnadeter Umbau-Künstler – in den rund zweieinhalb Jahren Entwicklungszeit dafür gesorgt, dass optische Schlüsselelemente der Z1 ihren Weg in die Z900RS fanden. Einige – darunter der Tank mit charakteristischem Z1-Dekor, der Rundscheinwerfer, der verchromte Rohrlenker, die analogen Rundinstrumente oder der pfiffige Heckbürzel – sind offensichtlich. Andere dagegen nicht: So findet sich in den unterhalb der Sitzbank an den Seitendeckeln angebrachten Z900RS-Relief-Emblemen eine Musterprägung, die in ähnlicher Form auch an den «Badges» der Z1 zu sehen war. Der für die Rundinstrumente gewählte Zifferntyp entspricht nahezu jenem des Originals – ebenso der Anstellwinkel der Tachonadeln bei Ruheposition sowie die Skala bis 240 km/h. Und die Form des zentralen LC-Displays ist der Warnleuchten-Trägerplatte der Z1 nachempfunden.Weitere köstliche Design-Parallelen gibt’s bei den in der Praxis überzeugenden, runden Rückspiegeln, dem Rücklicht, das mit LED-Technik ausgeführt ist und dennoch ein diffuses Rundlicht ähnlich jenem des Originals wiedergibt, und sogar beim Krümmungswinkel des Scheinwerferglases. Was auffällt: Kawasaki hat besagte Elemente nicht eins zu eins kopiert, sondern zeitgemäss neu interpretiert. Was prinzipiell für das komplette Bike gilt. So wollten die Grünen denn auch keine Replika der Z1, sondern einen Neoklassiker auf die Räder stellen, der klassische Designelemente mit modernster Technik und zugänglicher Fahrbarkeit kombiniert. Bestes Beispiel hierfür sind die Gussräder, die in puncto Steifigkeit, Gewicht und Pflegeaufwand gegenüber Speichenrädern klare Vorteile bieten, das klassische Speichen-Design dennoch ganz klar aufnehmen.Auf zur SchlotterpartieJetzt aber auf zur 300-Kilometer-Testfahrt, die uns an drei Fahrtagen vorwiegend durchs Hinterland von Barcelona führen wird. Als ich frühmorgens vor dem Hotel den Zündschlüssel drehe, erscheint im gut ablesbaren LC-Display nicht etwa ein Temperaturwert, sondern schlicht der trockene Warnhinweis «Ice». Tatsächlich bewegen sich die Temperaturen gerade im (sehr) tiefen einstelligen Bereich, und die Kaltfront, die sich Anfang November über ganz Europa erstreckt, wird dafür sorgen, dass alle unsere Tage im Sattel der Z900RS zur Schlotterpartie werden.Ergonomisch ist alles super-entspannt: aufrechter Torso, offener Kniewinkel, angenehme Lenkerkröpfung, alle Knöpfe und Schalter problemlos bedienbar, keine Rasten oder Hebel, die sich beim Ampelstopp in die Waden bohren. Die Sitzbank auf 835 mm Sitzhöhe, von der es als Originalzubehör eine tiefer geschnittene Version gibt (siehe Kasten, S. 12), ist kuschelig, bei 174 cm Körpergrösse hat man stets einen sicheren Bodenkontakt. Motorseitig sind wir im Wesentlichen bei der Schwester Z900, die den wassergekühlten Reihenvierzylinder mit 948 ccm spendet. Mit dem Unterschied allerdings, dass er für den Einsatz in der Z900RS so getunt wurde, dass er unten und in der Mitte klar mehr Druck bereitstellt. So liegen hier 111 PS bei 8500/min und 98,5 Nm bei 6500/min an, während die Z900 nominell 125 PS abdrückt, die aber erst bei 9500/min anstehen – ein Bereich, in den man mit der RS eher selten bis gar nie vorstossen wird. Das Drehmoment-Maximum der beiden Schwestern ist dagegen identisch, wobei der Block der RS aber eine deutlich fülligere Drehmomentkurve zeichnet. Und das merkt man im Fahrbetrieb eindeutig! Schon knapp über 1000/min läuft der Vierer, den man hauptsächlich im Bereich zwischen 3000 und 6000/min bewegt, geschmeidig-rund und drückt beim Vorspannen des Gaszugs mit enormem Dampf merklich vehementer ab als das Z900-Pendant. Schaltfaules Fahren wird damit zum Genuss-Programm. Aber der vibrationsarme Sechzehnventiler kann auch richtig sportlich, wenn er einmal die 7000er-Grenze überschreitet.Der Sound – dieses voluminös-rauchige und unrasierte Vierzylinder-Wummern – macht definitiv süchtig, wobei die Z900RS die erste Kawasaki ist, bei der echtes Sound-Engineering betrieben worden sein soll. Auch bei den elektronischen Assistenzsystemen ist die RS ihrer Schwester einen Schritt voraus, denn sie rollt mit einer abschaltbaren, zweistufigen Traktionskontrolle an, die es für die Z900 gemäss unseren Recherchen übrigens auch in Zukunft nicht geben wird.Butterweich und damit spielend mit nur zwei Fingern zu bedienen ist die Rutschkupplung. Auch die Dosierbarkeit passt bestens. Ähnlich zugänglich und unkompliziert gibt sich das knackige und präzis arbeitende Sechsganggetriebe. Nur in einem Punkt will dieser Prachtantrieb, der dank Druck «à discretion» unten und in der Mitte sowie sportlichem Knall oben echt zu begeistern weiss, nicht ganz überzeugen: bei der wegen Euro 4 eher direkten Gasannahme. Ein Phänomen, mit dem freilich nicht nur Kawasaki zu kämpfen hat …Schwing das DingHerrgott, wieso muss es denn so kalt sein!? Bei diesen eisigen Temperaturen sind die Dunlops nicht mal ansatzweise auf Betriebstemperatur zu bringen. Und so sind wir gezwungen, die 300 Testkilometer gemächlich anzugehen. Dies hat sicher den Vorteil, dass wir die Z900RS so bewegen wie letztendlich der Grossteil der Käuferschaft. Allerdings macht die köstliche Komposition aus an Schlüsselstellen wie Lenkkopf, Schwingenaufnahme und Heck entsprechend modifiziertem Z900-Stahlgitterrohrrahmen und einstellbarem Fahrwerk Lust auf mehr – auf viel mehr! Denn das Handling der fahrfertig 215 Kilo schweren Z900RS ist sowohl bei langsamen wie schnellen Tempi beflügelnd leicht. Und gleichzeitig liegt diese top ausbalancierte Kawa grundsolide im Eck.Unter- oder Übersteuern? Fehlanzeige! Der Mix aus Handling und Stabilität wurde damit nahezu perfekt getroffen – 100 Punkte! Und obschon wir trotz zig Bekleidungsschichten der Kälte verkrampft die Stirn bieten, fahren wir ein verhältnismässig anständiges Tempo. Grund hierfür ist das hohe Vertrauen, das die eher soft abgestimmten Federelemente vermitteln – vorn eine voll einstellbare 41-mm-USD-Gabel; hinten ein in Basis und Auswärtsdämpfung regulierbares Zentralfederbein. Jammerschade, dass wir der Z900RS, deren ABS-Bremsen übrigens ebenfalls keinerlei Wünsche offen lassen, auf diesen Traumstrassen nicht auch mal die Sporen geben können … Aber das werden wir nachholen: Im schon bald anstehenden Vergleichstest gegen die BMW R nineT, die Triumph Thruxton und die Yamaha XSR 900.

Fazit: Die Z900RS ist nicht nur ein optisch durch und durch gelungenes und bis ins kleinste Detail liebevoll gestaltetes Retro-Bike, sie ist auch eine ausgesprochene Fahrmaschine mit viel Flair und Charakter, die sich in Bezug auf die Fahrdynamik weder vor der Retro-Konkurrenz noch vor der Z900 zu verstecken braucht. Kawasaki hat mit der zugänglichen Z900RS Mut bewiesen und wird – so unsere Prognose – am Markt dafür belohnt werden.

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